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Beschützende Werkstätte: Heilbronner Foyergespräche

„Unterstützte Kommunikation”

Ein neuer Bereich der Sonderpädagogik wurde im zweiten Vortrag der Gesprächsreihe am vergangenen Montag im Foyer der Beschützenden Werkstätte vorgestellt.
Heinz Werner Kunius, Pädagogischer Leiter der Werkstätte, konnte rund 50 Gäste, Betroffene, Angehörige sowie Angestellte zum Themenabend „Unterstützte Kommunikation” begrüßen.

Ist Sprache selbstverständlich?
Sonderschullehrerin Barbara Wittmann und Heilerziehungspfleger Oliver Ertl verdeutlichten: „Kommunikation ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Mit der Sprache können wir unsere Gedanken und Gefühle mitteilen, Ängste äußern und uns unseren Mitmenschen nähern. Die meisten denken nicht darüber nach, dass sie sprechen können und wie ihre Sprache funktioniert. Nur wenn ein Fehler in diesem selbstverständlichen Vorgang auftritt, wird die Sprache als ein wichtiges und wertvolles Werkzeug erkannt”. „Ich stelle mir vor, wie es sein muss, wenn ich im Rollstuhl sitze und einfach irgendwohin gefahren werde, nur weil ich nicht ausdrücken kann, dass es eigentlich die andere Richtung sein soll” führte Ertl eindrücklich aus.

Die Ansätze in der Werkstatt
Seit August 1998 arbeitet Oliver Ertl zusammen mit Mitarbeitern der Heilbronner Werkstätte mit  der „Unterstützten Kommunikation”. Mittlerweile nutzen fünf Personen jeden Donnerstag und Freitag dieses Angebot. Wie sieht jedoch diese Kommunikationsförderung in der Praxis aus? „Grundvoraussetzung ist, dass wir den Menschen wirklich verstehen wollen. Auch mit seinen Wünschen, die wir vielleicht nicht erfüllen können; mit seinen Problemen, die uns belasten können und mit seinen Abneigungen, die auch mal gegen uns gerichtet sind” erklärte Ertl dem Gesprächskreis. Erster Schritt einer Kommunikationsförderung ist deshalb, dass wir als Gesprächspartner über eine sensible Wahrnehmung verfügen und versuchen, alle bereits vorhandenen Signale und Zeichen unseres Gegenübers wahrzunehmen und zu erkennen. Erst als zweiter Schritt kommt dann die Erweiterung um unterschiedlichen Symbolarten und Tafeln.
Symboltafel
Mein Mund ist stumm, aber mein Verstand spricht
Im Umgang mit der Unterstützten Kommunikation lernt der behinderte Mensch, dass er etwas bewirken, seine Umgebung sowie seine Mitmenschen beeinflussen kann. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für Kommunikation und kann für eine betroffene Person eine total neue Welt bedeuten. Wörter können durch Symbole ersetzt werden. Personen, Dinge, Tätigkeiten, Orte, Wünsche, Gefühle können bildlich dargestellt werden. Zunächst geschieht dies durch Bilder oder Fotos von bereits bekannten Gegenständen. Darauf aufbauend werden im zweiten Schritt andere Symbole verwendet. In der Beschützenden Werkstätte kommen Bliss-Symbole, Bild- und Fotosymbole, Löb-Symbole und vor allem PCS-Symbole (Picture Communication Symbol) zur Anwendung.
Die Gäste des Abends konnten an einer großen Plakatwand mit über 30 Symbolen (PCS) das „sprachlose” Übermitteln von Gefühlen selbst erproben und sich von den dabei entstehenden Hindernissen überzeugen. So wurde schnell klar: wenn ein Teilnehmer nicht motiviert ist, mit seiner Umgebung in Kontakt zu treten, wird er kaum gewillt sein, sich mit den jeweiligen Symbolen auseinander zu setzen.

Verstehen, nicht erraten
Alle Bemühungen, die Symbole erfolgreich anzuwenden, sind sinnlos, wenn sich die ständigen Bezugspersonen nicht in ihrem Verhalten umstellen. So wurde oft gelernt, jedes Bedürfnis „vorweg zu wissen”, der Betroffene sieht folglich keine Notwendigkeit zu kommunizieren, da jegliche Entscheidungen ja bereits von anderen Personen getroffen wurden. Es ist also unbedingt erforderlich, im Rahmen annehmender Hilfe dem Betroffenen einen Entscheidungsfreiraum zu ermöglichen, den er mit Hilfe der Symbole ausdrücken soll. Hierzu gehört beispielsweise die Auswahl der Kleidung oder die Bestellung beim Ober im Restaurant.
Sicherlich bedeutet dies einen Mehraufwand an Zeit, Aufmerksamkeit und Geduld im Wohnheim- und Werkstattbereich. Missverständnisse und Nichtverstehen sind dabei nahezu unvermeidlich. Man muss jedoch beachten, dass das Äußern eigener Bedürfnisse, besonders das - oft von Kämpfen begleitete - Durchsetzen des eigenen Willens, unabdingbar für eine gesunde Weiterentwicklung ist.

Ohne Symbole bleibt das Schweigen
Gelegenheit zum Sprechen gibt es den ganzen Tag lang und Symbole sollten dem Menschen die Möglichkeit bieten, jederzeit Dinge und Vorgänge zu kommentieren, die wichtig für ihn sind. Wenn eine Symboltafel zu umfangreich und deshalb zu unhandlich für alle Situationen ist, sollte man spezielle Tafeln für besondere Gelegenheiten anlegen. So können zum Beispiel Symbole auf Platzdecken bei Mahlzeiten helfen; Falttafeln sind vorteilhaft außer Haus. Die Symboltafeln sollten jederzeit für den Benutzer verfügbar sein. „Man muss die Tafel mit seiner eigenen Stimme vergleichen. Stellen Sie sich vor, Ihre Stimme sei im Schrank eingesperrt und man kann nur dann sprechen, wenn jemand sich dazu entschließen würde, einem die Stimme zu bringen!” erläuterte Ertl dem Publikum eindrucksvoll.

Vom Umgang mit Symbolbenutzern
Hier ist es wichtig, sich über die Schwierigkeit der Anwendung im Klaren zu sein. Die folgenden Überlegungen können eine Hilfe geben: Viele Nichtsprechende haben die Schwierigkeit, ein Gespräch zu beginnen. Versuche dahin werden oft übersehen. Man sollte deshalb flexibel und sensibel genug sein, um die sich ergebende Gelegenheit zu erkennen. Dabei sollte Kommunikation nie an bestimmte Orte und Zeiten gebunden sein. Diesem „Gesprächspartner” sollte gezeigt werden, dass man bereit ist, ihn zu verstehen! Die Themen sollten aus dem Interessensbereich des Symbolbenutzers kommen, bestenfalls bestimmt er das Thema selbst. Oliver Ertl kam aber auch auf die Bequemlichkeit zu sprechen: „Wir neigen dazu, über Bekanntes zu sprechen und vermeiden aus Bequemlichkeit neue Themen, denn dann müssten wir uns mit Missverständnis und sogar Unverständnis auseinandersetzen. Wir erfragen also Informationen nicht aus einem ernsthaften Interesse heraus, denn wir kennen sie ja schon und nehmen damit unser Gegenüber nicht ernst.”
Eine Symbolantwort benötigt Zeit. Der Benutzer muss zuerst die Fragen und Äußerungen verarbeiten, sich für die passende Antwort entscheiden, die entsprechenden Symbole heraussuchen und schließlich die notwendige Bewegung ausführen, um die ausgesuchten Symbole auf der Tafel zu zeigen.

Teilbereich “Gestützte Kommunikation”
Was in Amerika schon zum Alltag gehört, ist in Deutschland erst langsam im Kommen. Auch die gestützte Kommunikation findet hierzulande erst langsam Einzug. Barbara Wittmann stellt die Verfahrensweise vor: „Menschen, die nicht selbständig auf Symbole zeigen, oder eine Computertastatur bedienen können, brauchen einen Helfer (Stützer), der physische, verbale und emotionale Hilfestellungen gibt.” Beim Schreiben auf dem Computer beispielsweise muss der Arm am Ellenbogen durch einen Helfer gestützt werden. Dieser führt jedoch nicht den Arm, sondern hilft lediglich, die vom Betroffenen eingeleitete Bewegung zu koordinieren.
Der wohl bekannteste Nutzer dieser Methode ist Birger Sellin, Autist und Schriftsteller, der mittels gestützter Kommunikation die Bücher „ich will kein inmich mehr sein, botschaften aus einem autistischen kerker” und „Ich Deserteur einer artigen Autistenrasse, Neue Botschaften an das Volk der Oberwelt” verfassen konnte.

Teilnehmer sammelten praktische Erfahrungen
Im Verlauf des Abends konnte jeder Besucher am Computer der Beschützenden Werkstätte mit Symbolen experimentieren oder die gestützte Kommunikation an Tafeln ausprobieren. Eine Besucherin fasste ihre Eindrücke treffend zusammen: „Heute wurde ganz klar deutlich gemacht, dass zwischenmenschliche Kommunikation nicht gleich stimmliche Sprache ist, sonder eine Fülle anderer Möglichkeiten für den zwischenmenschlichen Austausch zur Verfügung stehen.”

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